Amygdala und Armageddon: Gar nicht so weit auseinander
Amygdala: Das Jüngste Gericht der Angstpatienten
Bei Lichte betrachtet haben Armageddon und Amygdala nichts miteinander zu tun. Aber wenn man beide Wörter ausspricht, erkennt man doch eine gewisse Ähnlichkeit. In jedem Fall macht beides Angst, wobei Amygdala die Angst vor dem Zahnarzt meint.
Es handelt sich bei der Amygdala um einen Bereich des Gehirns, der dafür „zuständig“ ist, extrem empfindlich auf den Zahnarztbesuch (und nicht nur auf den) zu reagieren. Durch diese Amygdala erfahren wir tatsächlich viel die Psychologie der Angst, denn sie ist für die Bewertung einer gefährlichen oder vermeintlich gefährlichen Situation zuständig.
Angstpatienten reagieren auch deshalb so panisch, wenn sie nur eine Zahnarztpraxis riechen oder die Instrumente sehen, weil die Amygdala schon beim Gedanken daran Stresshormone ausschüttet, die die Betroffenen dominieren.
Zahnarztangst: angeboren oder erlernt, Hauptsache weg damit!
Zum Mond können wir fliegen, auch über Besuche auf dem Mars wird schon länger nachgedacht. Aber woher die Zahnarztangst kommt, das scheint dann doch den Rahmen menschlicher Erkenntnis zu sprengen. Zwar gehen die meisten Fachleute davon aus, dass sich die Ursachen in der Kindheit befinden. Traumatische Ereignisse können zu einer dauerhaften psychischen Schädigung führen, die später nur schwer in den Griff zu bekommen ist. Doch es gibt auch Experten, die der Überzeugung sind, dass Zahnarztangst in manchen Fällen angeboren ist.
Wie es auch sein mag, für die betroffenen Patienten zählt nur, eine Lösung zu finden. Darum kümmert sich beispielsweise das Schweizer „Sleep-and-Smile-Zetrum“ in Wien. Die Erfahrung dort zeigt, dass Angstpatienten in der Regel keine Chance haben, ihre Ängste zu kontrollieren, vielmehr ist es genau umgekehrt. Für Michael Rufer, Professor für Psychosoziale Medizin am Uni-Spital in Zürich, ist das leicht zu erklären: „Solche Patienten fühlen sich klein und schwach, und die Angst wird immer größer.“
Doch was kann man dagegen tun?
Fertig machen zum Entspannen!
Der Umgang mit Angstpatienten ist besonders, weil sie nicht nur Gefühle entwickeln, die der Todesangst sehr nahe kommen. In der akuten Situation der Behandlung ist auch eine Ohnmacht denkbar, weil der Körper des Patienten so angespannt und gefordert ist (überfordert trifft es wohl besser), dass eine Ohnmacht die Folge sein kann. Rufer setzt verstärkt auf verordnete Entspannung. Was unmöglich klingt, funktioniert tatsächlich. Der Professor fordert seine Patienten auf, bestimmte Muskeln für mehrere Sekunden anzuspannen. In der Regel wird dadurch zunächst einmal eine mögliche Ohnmacht abgewendet. Im nächsten Schritt agiert der Zahnarzt Dr. Busenlechner nach dem Prinzip „Erzählen, zeigen, machen“, das heißt, er spricht mit seinen Angstpatienten, hört ihnen zu, nimmt sie ernst und an.
Bei Patienten mit mittelmäßig ausgeprägter Angst reichen die verständnisvollen Worte meist aus, um so viel Entspannung zu erfahren, dass die Behandlung durchgeführt werden kann. Handelt es sich allerdings um eine ausgeprägte Zahnarztangst, hilft all das nur wenig. Dann kommt nur noch die Behandlung mit Lachgas, Hypnose oder beruhigenden Medikamenten in Betracht.
Im Hollywood-Streifen „Argameddon“ hat Bruce Willis das Unmögliche möglich gemacht. Die Menschheit schien bereits ausgelöscht, als der Held kam, um gerade eben noch mal alles gut werden zu lassen. Die Amygdala ist für Betroffene eine (gefühlt) ähnlich starke Bedrohung. Aber mit der richtigen Hilfe und Menschen um sich herum, die bei der Entwicklung unterstützend eingreifen, ist auch diese Herausforderung zu meistern.
Nebenbei bemerkt: Bruce Willis hat seine Heldentat auch nicht alleine vollbracht. Er hatte eine Team hinter sich, das genau wusste, was zu tun ist.
Erfahrungsberichte
Ein Mann erzählt, dass ihm im Jugendalter von seinem Zahnarzt verdächtig viele Zähne gezogen wurden. Andere Behandlungsoptionen schienen für den Zahnmediziner keine Option zu sein. Der Betroffene leidet noch heute unter starker Zahnarztangst.
Alexander könnte als klassischer Fall bezeichnet werden. Durch seine Zahnarztangst war er schon jahrelang nicht mehr in einer Praxis. Als er sich dann durchgerungen hat, hatte er das Glück, zu einem Zahnarzt zu kommen, der empathisch auf seine Ängste eingegangen ist und die Behandlung nicht überstürzt hat.
Jana hat bei ihrem Zahnarztbesuch gleich zwei wichtige Erfahrungen gemacht. Zum einen hat sie festgestellt, dass Lachgas seinen Namen nicht der Eigenschaft des Lachens zu verdanken hat. Die beruhigende Wirkung hat sich aber positiv auf die Behandlung ausgewirkt. Und zum anderen ist Jana der festen Überzeugung, dass selbst die besten Methoden wirkungslos sind, wenn der Zahnarzt unsensibel ist.
Bei Max war es sein 50. Geburtstag, der ihn die Entscheidung treffen ließ, nun allen Mut zusammen zu nehmen und einen Zahnarzt aufzusuchen. Belohnt wurde sein Mut nicht, zumindest zunächst nicht. Max musste die Erfahrung machen, dass nicht jede Praxis, die vorgibt, auf Dentalphobie spezialisiert zu sein, das auch wirklich ist. Letztlich fand er aber die Praxis, die mit ihm vorsichtig genug umgehen konnte.
Wenn es ein Vorzeigebeispiel für ein Kindheitstrauma gibt, dann ist Petra sicher die beste Wahl. Sie kannte bis zu ihrem 10. Lebensjahr überhaupt keine Angst vorm Zahnarzt und wurde dann von einem Zahnmediziner so plump behandelt, dass sie von diesem Zeitpunkt an nicht mehr ohne Panik eine Praxis aufsuchen konnte. Sie musste bis zum 40. Lebensjahr warten, bevor sie einen Zahnarzt fand, der einfühlsam mit ihr umging.
Daniel hat erkannt, dass seine Zahnarztangst erheblichen negativen Einfluss auf sein Leben nimmt. Bei ihm war es weniger die Angst als vielmehr die Scham, die ihm das Leben schwergemacht hat. Er traute sich kaum noch unter Leute, weil ihm seine Zähne peinlich waren. Nachdem er sich aufgerafft hatte, zu einem feinfühligen Zahnarzt zu gehen, hat er ein völlig neues Lebensgefühl.
Bei Andrea liegt ein Teil des Problems in der Kommunikation. Oder besser: in der fehlenden Kommunikation. Sie hatte als junges Mädchen einen Zahnarztbesuch, der eine umfangreiche Behandlung zur Folge hatte. Doch reden wollte darüber niemand mit ihr.
Nachrichten
Wer Patienten mit Dentalphobie verstehen will, muss sich zunächst von zahlreichen eigenen Einschätzungen und Einstellungen verabschieden. Denn die Wahrnehmung von Menschen mit Zahnarztangst ist eine andere. Wer das weiß, ist einen großen Schritt weiter – und wird die Spritze mit neuen Augen betrachten.
Der Zahnarztbesuch ist immer wieder so ein Thema. Während die eine Personengruppe sich auf den Behandlungsstuhl setzt, als würde sie in einem Kinosessel Platz nehmen, bekommt die andere schon Panik, wenn sie auch nur an den Geruch einer Praxis denkt. Eine russische Künstlerin möchte auf das Thema Zahnhygiene aufmerksam machen und hat dazu sehr eigenwillige Skulpturen entworfen.