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Der Versuch, Zahnarztangst durch wissenschaftliche Modelle zu erklären

Wenngleich bekannt ist, dass Zahnarztangst in den meisten Fällen mit Erlebnissen in der Kindheit zusammenhängt, tun sich Fachleute doch schwer damit, aus diesem Umstand die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Sprich: der Grund für die Dentalphobie leuchtet Fachleuten ein, allein der Umgang damit überfordert sie jedoch. Das ist schon deshalb nicht verwunderlich, weil jeder Mensch seine individuelle Geschichte in sich trägt und mit Ängsten unterschiedlich umgeht. Die Wissenschaft hat sich mit Zahnarztangst intensiv beschäftigt und verschiedene Modelle entwickelt, die helfen sollen, die richtigen Einordnungen vorzunehmen. Einige sollen hier vorgestellt bzw. angerissen werden.
 

Das „Seattle-System“

Dem wissenschaftlichen Ansatz nach geht es bei der Einordnung von Zahnarztangst zunächst einmal drum, zu erforschen, ob es sich um eine von außen erzeugte Angst handelt oder ob die betroffene Persönlichkeit grundsätzlich Ängste in sich trägt, die Dentalphobie begünstigen. Das „Seattle-System“ geht von vier Kategorien aus, die der Zahnarztangst zugeordnet werden können:

    1. 1. Typ I, „direkte Konditionierung“: Eine im Laufe der Zeit konditionierte Angst, die nur entsteht, wenn bestimmte Stimuli durch zahnärztliche Themen greifen.
    1. 2. Typ II, „Angst vor Katastrophen“: Hierbei stehen körperliche (Abwehr)Reaktionen im Vordergrund, die durch die zahnmedizinischen Behandlungen erzeugt werden.
    1. 3. Typ III, „generelle Ängstlichkeit“: Dieser Typ hat nicht nur vor dem Zahnarzt Angst, sondern erweist sich in anderen Lebenssituationen ebenfalls als grundsätzlich ängstlich.
    1. 4. Typ IV, „Misstrauen gegenüber dem Zahnarzt“: Bei dieser Gruppe liegen in der Regel einschneidende Erlebnisse bei Zahnarztbesuchen vor, die dazu führen, dass gegenüber dem Zahnarzt oder auch dem zahnmedizinischen Personal grundsätzliche Skepsis und Angst vorherrschen.

Um das „Seattle-System“ auf seinen Wahrheitsgehalt zu untersuchen, wurden zahlreiche Erhebungen vorgenommen, von denen eine Methodik allerdings hervorgehoben werden kann, weil sie sehr prägnant und aussagekräftig ist. Bei dieser Methode werden Patienten lediglich vier Fragen gestellt, die darauf abzielen, die Intensität der Angst zu ergründen. Sie hilft zudem, die Motivation hinter der Angst besser zu verstehen. Für jede Frage sind fünf Ausprägungen vorgesehen, der Befragte muss sich für jeweils eine entscheiden. Das Ergebnis lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

    1. 1. Typ I: „Ich habe Angst vor Dingen, die der Zahnarzt tut, z. B. dass ich eine Injektion bekomme oder meine Zähne gebohrt werden.“
    1. 2. Typ II: „Ich habe Angst davor, während der Zahnbehandlung eine Panikattacke oder einen Herzinfarkt zu bekommen oder in Ohnmacht zu fallen.“
    1. 3. Typ III: „Ich bin im Allgemeinen ein nervöser Mensch.“
    1. 4. Typ IV: „Ich habe Angst vor den Zahnarztbesuchen, weil ich dem Zahnarzt misstraue.“

Die Angst der Typs I kann auf eine grundsätzliche Skepsis zurückgeführt werden, die auf Unwissenheit darüber, was passiert, fußt.

Typ II neigt grundsätzlich zu Panikattacken und bildet in seinem Kopf katastrophale Szenarien, die er auf sich zukommen sieht. Bei ihm kommt also zur Dentalphobie eine generelle Angst vor unschönen Dingen, die ihm widerfahren könnten.

Typ III reagiert auf viele Situation im Leben, die mit Stress verbunden sind, ängstlich. Der Gang zum Zahnarzt gehört daher zu einem Gesamtbild, das den Betroffenen als Persönlichkeit prägt.

Typ IV gehört fraglos in die Kategorie von Menschen, die in ihrem Leben traumatische Erfahrungen bei Zahnarztbesuchen gemacht haben. Das Misstrauen gegenüber Zahnärzten sitzt tief und ist nur sehr schwer zu durchbrechen.

Weitere Modelle zur Erklärung von Dentalphobie

Das „Seattle-Modell“ ist längst nicht das einzige, das sich mit dem Thema Zahnarztangst befasst hat. So geht das Modell nach Reiss (1987) davon aus, dass es ein Erwartungsmodell gibt, das als Basis die Empfindungen Angst, Furcht und Panik hat. Genau genommen allerdings spricht Reiss nur von Furcht, die drei Formen nennt er Empfindlichkeiten. Zum einen nimmt Reiss die Furcht vor Verletzungen an, zum anderen die Furcht vor der Angst an sich. Drittens spricht er von der Furcht vor negativer Beurteilung. Das Reiss-Modell belegt, dass es gewissermaßen innere und äußeren Gründe für die Dentalphobie gibt. Ähnlich wie im „Seattle-System“ kann Zahnarztangst also aufgrund von zurückliegenden Ereignissen entstehen oder weil die Persönlichkeitsstruktur der betroffenen Personen zum Aufbau starker Ängste neigt.

Sehr hilfreich ist die Betrachtungsweise der Studie von Abrahamsson, Carlsson, Berggren und Hallberg und Carlsson aus dem Jahr 2002. Sie befasst sich besonders mit den Gefühlen, die sich hinter der Angst versteckt halten. Für Therapeuten, Ärzte und Zahnärzte ist dieser Ansatz eine gute Hilfestellung, um die Emotionen von Angstpatienten besser zu verstehen.

In der Studie wird davon ausgegangen, dass ein maßgebliches Gefühl beim Menschen mit Dentalphobie die Angst vor dem Autonomieverlust, also auch vor dem Verlust der Kontrolle ist. Man sieht sich der Situation hilflos ausgeliefert und bekommt so sehr starke Ängste, die bis zur Handlungsunfähigkeit führen. Gepaart mit diesen Emotionen gehen Ängste vor der körperlichen Verletzbarkeit bis hin zur Angst vor dem Tod einher.

Laut der Studie von Abrahamsson, Carlsson, Berggren und Hallberg und Carlsson liegen wesentliche Anteile für die Entstehung von Dentalphobie aber auch beim Zahnarzt. Durch die Studie fanden sie heraus, dass das Gefühl, der behandelnde Zahnarzt sei inkompetent und zeige wenig Empathie und Respekt, bei den Patienten mit Dentalphobie die Angst zusätzlich befeuern würde. Eine Erkenntnis, die sich inzwischen viele Zahnärzte zu Herzen genommen haben.

Der ernst genommene Patient

War in den 1970er und 80er Jahren Zahnarztangst noch etwas, das als „Empfindlichkeit“ oder gar „Wehleidigkeit“ abgetan wurde, haben sich speziell in den letzten 10 bis 20 Jahren erhebliche Verbesserungen erzielen lassen. Die oberflächliche Betrachtungsweise, die die Patienten nicht ernst nahm und ihnen teilweise sogar böse Absicht oder Geltungsbedürfnis unterstellte, gehört heute erfreulicherweise der Vergangenheit an.

Menschen mit Zahnarztangst hätten diese neue, zugewandte und ernstnehmende Haltung schon sehr viel früher gut brauchen können. Es gäbe dann heute sicherlich deutlich weniger Patienten mit Dentalphobie.

Erfahrungsberichte

Nachrichten

Praxisalltag: Die Krux mit der Spritze

Wer Patienten mit Dentalphobie verstehen will, muss sich zunächst von zahlreichen eigenen Einschätzungen und Einstellungen verabschieden. Denn die Wahrnehmung von Menschen mit Zahnarztangst ist eine andere. Wer das weiß, ist einen großen Schritt weiter – und wird die Spritze mit neuen Augen betrachten.

Zahnhygiene und Kunst: Passt das zusammen?

Der Zahnarztbesuch ist immer wieder so ein Thema. Während die eine Personengruppe sich auf den Behandlungsstuhl setzt, als würde sie in einem Kinosessel Platz nehmen, bekommt die andere schon Panik, wenn sie auch nur an den Geruch einer Praxis denkt. Eine russische Künstlerin möchte auf das Thema Zahnhygiene aufmerksam machen und hat dazu sehr eigenwillige Skulpturen entworfen.

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