Wann die Krankenkasse die Kosten bei Vollnarkose übernimmt
Tanja K. fasste all ihren Mut zusammen und rief bei ihrer Krankenkasse an. Sie schilderte mit feuchten Händen ihr Problem. Seit vielen Jahren sei sie nicht mehr beim Zahnarzt gewesen, wegen ihrer panischen Zahnarztangst, auch Dentalphobie genannt. Nun wolle sie sich endlich behandeln lassen. Doch ohne Vollnarkose sei das nicht möglich, zu groß sei die Angst, die sich auch in körperlichen Abwehrsymptomen äußere. Schweißausbrüche, Herzrasen, Schwindel und weitere Anzeichen für Tanjas Angst sollten ausreichen, um der Krankenkasse den Ernst der Lage klar zu machen. Dachte sie zumindest. Doch sie sollte sich täuschen.
Die Sachbearbeiterin am Telefon war nicht nur nett, sondern auch sehr verständnisvoll. Sie selbst, erklärte die Mitarbeiterin der Krankenkasse Tanja, kenne in ihrem Bekanntenkreis selbst jemanden mit Dentalphobie. Schlimm sei das, traurig. Aber nein, helfen könne sie leider nicht, die Vollnarkose sei nicht im Leistungskatalog für die Kostenübernahme vorgesehen. Es täte ihr sehr leid, aber Tanja müsse wohl nach anderen Wegen suchen, aus ihrer Problemlage herauszukommen.
Tanja K. war niedergeschlagen. Wie, so fragte sie sich, könnte denn ein anderer Weg aussehen?
Vollnarkose aus der eigenen Tasche?
Tanja K. machte sich auf die Suche. Im Netz. Zwar hatte sie den Zahnarztbesuch seit Jahren verdrängt, doch sie glaubte daran, dass es Praxen gab, die sich auf Patienten mit Zahnarztangst spezialisiert haben. Und sie sollte recht behalten. Allerdings mit einem zweifelhaften Ergebnis.
Vollnarkose boten viele der aufgesuchten Praxen auf ihrer Website an. Und gleich dazu „attraktive Finanzierungsmodelle“, also etwa Ratenzahlungen. Tanja war schockiert. Sie verdiente nur wenig, arbeitete schon lange für eine Zeitarbeitsfirma, da waren die Kosten für die Narkose einfach zu hoch. Als sie ihrer besten Freundin davon erzählte, machte die ihr noch weniger Hoffnung. Eine Ratenzahlung, so die Freundin, sei meist sowieso nur möglich, wenn die Bonitätsauskunft positiv sei. Bei Tanjas Job für die Zeitarbeitsfirma würde es wohl also mit der Ratenzahlung eh nichts werden.
Tanjas Mut sank, die Dentalphobie rückte wieder in den Vordergrund, dominierte ihr Fühlen. Sie wollte schon aufgeben, als sie in einer Zeitschrift einen Artikel las.
Mit einem psychiatrischen Gutachten können die Kosten für die Vollnarkose übernommen werden
Was Tanjas Freundin nicht wusste und die Krankenkasse ihr vorenthielt: Es gibt durchaus die Möglichkeit einer Kostenübernahme der Vollnarkose durch die Krankenkasse. Dazu ist jedoch ein Besuch bei einem Psychiater oder einer Psychiaterin nötig. Wenn sich bei diesem Gespräch herausstellt, dass die Dentalphobie echt ist (tatsächlich gibt es immer wieder Patienten, die aus Bequemlichkeit eine Zahnarztangst nur vorspielen), kann ein Gutachten erstellt werden, aus dem klar hervorgeht, dass die Vollnarkose aus psychiatrischer Sicht notwendig ist. In diesem Fall bleibt der Kasse nichts anderes übrig, als die Kosten zu übernehmen. Der oder die Betroffene muss das Gutachten dann mit in die Praxis nehmen, der Anästhesist bekommt es vor dem Eingriff und rechnet direkt mit der Krankenkasse ab.
Wichtig dabei: In aller Regel muss das Gutachten tatsächlich durch eine psychiatrische Fachkraft ausgestellt werden. Patienten, die diese Aufgabe einer Psychologin oder einem Psychologen übertragen, werden aller Voraussicht nach damit scheitern.
Tanja hat‘s getan!
Tanja K. hat eine gute und einfühlsame Psychiaterin gefunden, die ihr das Gutachten schrieb. Dadurch konnte sie ihren beschwerlichen Weg weitergehen, sich in einer Praxis unter Vollnarkose behandeln lassen und somit einen Teil ihrer Angst erfolgreich überwinden. Sie ist nach wie vor ängstlich und mit ihrer Krankenkasse im Gespräch darüber, ob eine Therapie ihr helfen könnte. Doch das ist der nächste Schritt. Im Moment ist sie einfach nur froh und erleichtert, diesen bedeutsamen Schritt gemacht zu haben.
Und ein wenig stolz ist sie auch auf sich. Wenn man sich etwas mit der panischen Angst vor dem Zahnarzt auskennt, kann man nur sagen: mit Fug und Recht ist Tanja stolz.
Erfahrungsberichte
Ein Mann erzählt, dass ihm im Jugendalter von seinem Zahnarzt verdächtig viele Zähne gezogen wurden. Andere Behandlungsoptionen schienen für den Zahnmediziner keine Option zu sein. Der Betroffene leidet noch heute unter starker Zahnarztangst.
Alexander könnte als klassischer Fall bezeichnet werden. Durch seine Zahnarztangst war er schon jahrelang nicht mehr in einer Praxis. Als er sich dann durchgerungen hat, hatte er das Glück, zu einem Zahnarzt zu kommen, der empathisch auf seine Ängste eingegangen ist und die Behandlung nicht überstürzt hat.
Jana hat bei ihrem Zahnarztbesuch gleich zwei wichtige Erfahrungen gemacht. Zum einen hat sie festgestellt, dass Lachgas seinen Namen nicht der Eigenschaft des Lachens zu verdanken hat. Die beruhigende Wirkung hat sich aber positiv auf die Behandlung ausgewirkt. Und zum anderen ist Jana der festen Überzeugung, dass selbst die besten Methoden wirkungslos sind, wenn der Zahnarzt unsensibel ist.
Bei Max war es sein 50. Geburtstag, der ihn die Entscheidung treffen ließ, nun allen Mut zusammen zu nehmen und einen Zahnarzt aufzusuchen. Belohnt wurde sein Mut nicht, zumindest zunächst nicht. Max musste die Erfahrung machen, dass nicht jede Praxis, die vorgibt, auf Dentalphobie spezialisiert zu sein, das auch wirklich ist. Letztlich fand er aber die Praxis, die mit ihm vorsichtig genug umgehen konnte.
Wenn es ein Vorzeigebeispiel für ein Kindheitstrauma gibt, dann ist Petra sicher die beste Wahl. Sie kannte bis zu ihrem 10. Lebensjahr überhaupt keine Angst vorm Zahnarzt und wurde dann von einem Zahnmediziner so plump behandelt, dass sie von diesem Zeitpunkt an nicht mehr ohne Panik eine Praxis aufsuchen konnte. Sie musste bis zum 40. Lebensjahr warten, bevor sie einen Zahnarzt fand, der einfühlsam mit ihr umging.
Daniel hat erkannt, dass seine Zahnarztangst erheblichen negativen Einfluss auf sein Leben nimmt. Bei ihm war es weniger die Angst als vielmehr die Scham, die ihm das Leben schwergemacht hat. Er traute sich kaum noch unter Leute, weil ihm seine Zähne peinlich waren. Nachdem er sich aufgerafft hatte, zu einem feinfühligen Zahnarzt zu gehen, hat er ein völlig neues Lebensgefühl.
Bei Andrea liegt ein Teil des Problems in der Kommunikation. Oder besser: in der fehlenden Kommunikation. Sie hatte als junges Mädchen einen Zahnarztbesuch, der eine umfangreiche Behandlung zur Folge hatte. Doch reden wollte darüber niemand mit ihr.
Nachrichten
Wer Patienten mit Dentalphobie verstehen will, muss sich zunächst von zahlreichen eigenen Einschätzungen und Einstellungen verabschieden. Denn die Wahrnehmung von Menschen mit Zahnarztangst ist eine andere. Wer das weiß, ist einen großen Schritt weiter – und wird die Spritze mit neuen Augen betrachten.
Der Zahnarztbesuch ist immer wieder so ein Thema. Während die eine Personengruppe sich auf den Behandlungsstuhl setzt, als würde sie in einem Kinosessel Platz nehmen, bekommt die andere schon Panik, wenn sie auch nur an den Geruch einer Praxis denkt. Eine russische Künstlerin möchte auf das Thema Zahnhygiene aufmerksam machen und hat dazu sehr eigenwillige Skulpturen entworfen.