Wenn das „Aaaaaah“ nichts mit Genuss oder Überraschung zu tun hat

Ganz selbstverständlich ohne Betäubung
Die Tatsache, dass heute viele Menschen in mittleren Jahren Angst vor dem Zahnarzt haben, kommt nicht von ungefähr. Man muss wissen, dass bis zum Ende der 1980er Jahre viele Zahnärzte bei Kindern die Behandlung ohne Betäubung durchgeführt haben. Dass das nicht folgenlos blieb, ist klar. So sind viele Menschen, die heute unter Dentalphobie leiden, mit dem Gefühl ausgewachsen, dass Zahnarzt und Schmerzen einfach zusammengehören. Häufig wurden Ängste aber damals auch schlicht von den Eltern auf ihre Kinder übertragen, weil diese selbst schlechte Erfahrungen gemacht hatten und ihre Ängste gewissermaßen auf ihren Nachwuchs haben übergehen lassen.
Der Zahnarzt muss die Kontrolle abgeben
Was früher selbstverständlich war, stößt heute immer wieder auf Kritik. Zahnärzte waren sozusagen die „Götter in Weiß“, denen sich die Patienten ausliefern mussten. Das Bild spricht Bände: der Patient liegt auf dem Behandlungsstuhl, ist wehrlos, muss den Mund öffnen und darauf vertrauen, dass der Zahnarzt es schon alles so macht, wie es sein soll. Einfluss nehmen kann der Patient nicht, und genau diese Hilflosigkeit macht gerade Angstpatienten so sehr zu schaffen.
Heute sind viele Zahnärzte viel empathischer geworden und nehmen die Empfindungen ihrer Patienten ernst. In zahlreichen Praxen hat sich eine Art „Codewort“ durchgesetzt, das den Patienten in die Lage versetzen soll, sich nicht mehr so ausgeliefert zu fühlen. Meldet sich der Patient beispielsweise während der Behandlung mit einem „Aaaaah“, bricht der Zahnarzt die Behandlung sofort ab und spricht mit dem Patienten über das, was er fühlt. So gelangt die Kontrolle in die Hände des Patienten, er fühlt sich besser, weil er Einfluss nehmen kann.
Spezialisten der Angst
Was in den 1980er Jahre so undenkbar war wie ein Verbot des Rauchens in geschlossenen Räumen, ist heute eine Selbstverständlichkeit: Spezialisten für Angstpatienten. Heute gibt es viele Zahnärzte, die sich auf Dentalphobie spezialisiert haben. Sie gehen mit besonderer Sorgfalt, Ruhe und Empathie mit ihren ängstlichen Patienten um, nehmen ihre Ängste ernst und schaffen nicht nur eine angenehme Atmosphäre in der Praxis, sondern auch Möglichkeiten wie Vollnarkosen, Lachgas und ähnliche Methoden der Angstreduzierung.
Dennoch sind Zahnarztängste nach wie vor ein Feld, das nur wenig erforscht ist. Es gibt also noch eine ganze Menge zu tun, bis auch Menschen mit Zahnarztangst ein völliges angstfreies und entspanntes „Aaaaah“ äußern werden können.
Erfahrungsberichte
Ein Mann erzählt, dass ihm im Jugendalter von seinem Zahnarzt verdächtig viele Zähne gezogen wurden. Andere Behandlungsoptionen schienen für den Zahnmediziner keine Option zu sein. Der Betroffene leidet noch heute unter starker Zahnarztangst.
Alexander könnte als klassischer Fall bezeichnet werden. Durch seine Zahnarztangst war er schon jahrelang nicht mehr in einer Praxis. Als er sich dann durchgerungen hat, hatte er das Glück, zu einem Zahnarzt zu kommen, der empathisch auf seine Ängste eingegangen ist und die Behandlung nicht überstürzt hat.
Jana hat bei ihrem Zahnarztbesuch gleich zwei wichtige Erfahrungen gemacht. Zum einen hat sie festgestellt, dass Lachgas seinen Namen nicht der Eigenschaft des Lachens zu verdanken hat. Die beruhigende Wirkung hat sich aber positiv auf die Behandlung ausgewirkt. Und zum anderen ist Jana der festen Überzeugung, dass selbst die besten Methoden wirkungslos sind, wenn der Zahnarzt unsensibel ist.
Bei Max war es sein 50. Geburtstag, der ihn die Entscheidung treffen ließ, nun allen Mut zusammen zu nehmen und einen Zahnarzt aufzusuchen. Belohnt wurde sein Mut nicht, zumindest zunächst nicht. Max musste die Erfahrung machen, dass nicht jede Praxis, die vorgibt, auf Dentalphobie spezialisiert zu sein, das auch wirklich ist. Letztlich fand er aber die Praxis, die mit ihm vorsichtig genug umgehen konnte.
Wenn es ein Vorzeigebeispiel für ein Kindheitstrauma gibt, dann ist Petra sicher die beste Wahl. Sie kannte bis zu ihrem 10. Lebensjahr überhaupt keine Angst vorm Zahnarzt und wurde dann von einem Zahnmediziner so plump behandelt, dass sie von diesem Zeitpunkt an nicht mehr ohne Panik eine Praxis aufsuchen konnte. Sie musste bis zum 40. Lebensjahr warten, bevor sie einen Zahnarzt fand, der einfühlsam mit ihr umging.
Daniel hat erkannt, dass seine Zahnarztangst erheblichen negativen Einfluss auf sein Leben nimmt. Bei ihm war es weniger die Angst als vielmehr die Scham, die ihm das Leben schwergemacht hat. Er traute sich kaum noch unter Leute, weil ihm seine Zähne peinlich waren. Nachdem er sich aufgerafft hatte, zu einem feinfühligen Zahnarzt zu gehen, hat er ein völlig neues Lebensgefühl.
Bei Andrea liegt ein Teil des Problems in der Kommunikation. Oder besser: in der fehlenden Kommunikation. Sie hatte als junges Mädchen einen Zahnarztbesuch, der eine umfangreiche Behandlung zur Folge hatte. Doch reden wollte darüber niemand mit ihr.
Nachrichten
Wer Patienten mit Dentalphobie verstehen will, muss sich zunächst von zahlreichen eigenen Einschätzungen und Einstellungen verabschieden. Denn die Wahrnehmung von Menschen mit Zahnarztangst ist eine andere. Wer das weiß, ist einen großen Schritt weiter – und wird die Spritze mit neuen Augen betrachten.
Der Zahnarztbesuch ist immer wieder so ein Thema. Während die eine Personengruppe sich auf den Behandlungsstuhl setzt, als würde sie in einem Kinosessel Platz nehmen, bekommt die andere schon Panik, wenn sie auch nur an den Geruch einer Praxis denkt. Eine russische Künstlerin möchte auf das Thema Zahnhygiene aufmerksam machen und hat dazu sehr eigenwillige Skulpturen entworfen.